Für Rückzug aus Afghanistan und Austritt aus der Nato

Erster Ostermarsch nach vielen Jahren in Wiesbaden mit geringer Beteiligung /
Vollständiges Asylrecht in der EU gefordert

Vom 13.04.2004 (Wiesbadener Kurier)
 
WIESBADEN (ed) "Keine Seite siegt im Krieg, nur der Tod, der feiert Sieg!" Vor diesem Plakat hatten sich laut Polizeiangaben "knapp über 100" Teilnehmer eines Ostermarschs versammelt, der am Samstag nach vielen Jahren wieder einmal in Wiesbaden durchgeführt wurde. Die ersten Ostermärsche waren 1958/59 von britischen Atomwaffengegnern veranstaltet worden, nach deren Vorbild erstmals 1960 eine sternförmige Aktion dieser Art in Deutschland stattfand - getragen von Hamburger Verfechtern des ethisch-religiösen Pazifismus mit dem Ziel einer breiten Plattform. Das wiederum setzte den Verzicht aller Beteiligten voraus, die Demonstration für die individuelle Grundposition zu vereinnahmen und mit ihr eigene Politik zu machen.

Bei der diesjährigen Veranstaltung "Totaler Markt - totaler Krieg?" in Wiesbaden ließ sich teilweise schon an den Fahnen erkennen, dass außer den Friedensinitiativen Mainz und Wiesbaden auch die DKP (Bezirk Rheinland-Pfalz), die Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und der PDS-Kreisverband Mainz-Bingen eingeladen hatten. Sie forderten in ihrem gemeinsamen Aufruf unter anderem den Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan und den Austritt aus der Nato.

Dirk Vogelskamp vom Kölner Komitee für Grundrechte und Demokratie prangerte die Militarisierung der EU an und den Krieg im Irak, der nur geführt werde, weil der arabische Raum für die kapitalistische Wertschöpfung blockiert sei. "Der Fortschritt des Kapitals und seiner `linken` Apologeten ist das Fortschreiten der Barbarei, ist das Fortschreiten globaler Gewalt, ist die Anhäufung der Gewaltmittel und Leichenberge", so Vogelskamp. In Deutschland müsse Stellung gegen das neue "Feindbild des Sicherheitsstaates, das Schreckgespenst der Horden gewaltbereiter junger Muslime aus dem Nahen und Mittleren Osten" bezogen und sich auf die Seite der Migranten geschlagen werden. Ein vollständiges Asylrecht in der EU forderte auch Christian Axnick von der DFG-VK Marburg. "Der allgemeine Kriegsdienstzwang - von ideologisch Verblendeten Wehrdienst genannt - gehört sofort und bedingungslos abgeschafft, das Einsatzführungszentrum der Bundeswehr ebenso wie deren Sondereinsatztruppe aufgelöst." Die Forderung des Verbandes nach einem unbewaffneten Europa, einer EU ohne Armee bestärkte René Burget von der "Union pacifiste de France", der für den Ostermarsch eigens aus Paris gekommen war. War in der Schlusskundgebung in erster Linie von Irak und Afghanistan die Rede, hatte Hans-Gerd Öfinger, stellvertretender Verdi-Bezirksvorsitzender, bei der Auftaktveranstaltung am Bahnhof die Aufmerksamkeit auch auf das "von der Bush-Administration und deutschen Einrichtungen wie der Konrad-Adenauer-Stiftung bedrohte" Venezuela gerichtet. Die Bedeutung des Landes als einer der größten Erdölexporteure der Welt erkläre die Behauptung, sein Präsident Hugo Chávez unterstütze Guerilla und Terroristen in Kolumbien. "Dies ist genau so verlogen und frei erfunden wie das Märchen von den gefährlichen Massenvernichtungswaffen im Irak - was als Kriegsgrund diente."

Die geringe Resonanz der Veranstaltung erklärte Teilnehmerin Ursula Thomas aus Kostheim damit, dass viele Menschen in Urlaub, mit den Ostervorbereitungen beschäftigt oder einfach der Meinung seien, sie könnten ohnehin nichts ändern. Dagegen meinte Peter Silbereisen, der die Schlusskundgebung moderierte, dass sich die Bevölkerung immer erst dann alarmiert zeige, wenn ein Krieg unmittelbar bevorstehe. Davon, dass beispielsweise die Nato-Sicherheitskonferenz in München die "nackte Kriegsmache" gewesen sei, wisse sie nichts.


"Steter Tropfen höhlt den Stein"

Unverzagte Ostermarschierer protestieren gegen den Krieg als "normales Mittel des Marktes" und die Agenda 2010

Wie in ganz Deutschland war auch in Wiesbaden die Resonanz beim diesjährigen Ostermarsch am Samstag eher gering. Die rund 200 Beteiligten zeigten sich dafür umso engagierter. Ihr Motto: "Totaler Markt - Totaler Krieg".

VON BIANCA STRAUSS

Wiesbaden · 12. April · Die Innenstadt von Wiesbaden glich am Ostersamstag einem Ameisenhügel, so viele Menschen drängelten sich durch die Straßen. Von Themen wie Krieg und Sozialabbau war allerdings kaum etwas zu hören, höchstens inmitten der langen Schlangen an den Kassen fiel das eine oder andere Wort. Der österliche Shoppingrausch war in vollem Gange, als etwa 200 Ostermarschierer aus Mainz und Wiesbaden vom Bahnhof Richtung Rathaus zogen. Mit verwunderten Blicken lasen die Einkaufsbummler provokative Plakatschriften wie: "Totaler Markt - Totaler Krieg" oder das versöhnliche "Peace", um dann in den nächsten Laden zu eilen.

"Es geht nicht darum, dass hier Tausende von Menschen mitlaufen", sagt Ostermarschierer Michael Wüst-Greim aus Wiesbaden, der sich schon seit Jahren regelmäßig an den Friedensappellen beteiligt. Er lehnt gemeinsam mit seiner Frau an einer Straßenlaterne vor dem Rathaus und lauscht dem Frankfurter Liedermacher Ernst Schwarz: "Ami geh' nach Haus, die größten Schurken findest du zu Haus'". Es dürfe nicht immer und überall nur nach Zahlen geschaut werden, kritisiert Michael Wüst-Greim. Wichtig sei, dass hier und auch bei den anderen Märschen in Deutschland Inhalte laut würden und darüber diskutiert werde.

Alternativen zur Agenda 2010


In der Politik mache in letzter Zeit eine Strategie der Alternativlosigkeit Schule. Dagegen kämpften die Ostermarschierer schon seit einigen Jahren an. Die Agenda 2010 etwa sei nicht der einzige Weg, um die deutsche Gesellschaft in eine sichere Zukunft zu führen. Genau das werde aber den Menschen vorgegaukelt. Genauso habe auch US-Präsident Bush vermittelt, der einzige Weg gegen den Terror sei Krieg, und jetzt bekomme er in Irak die Quittung für diesen Irrtum. "Totaler Markt - Totaler Krieg" steht auf einem Transparent als Motto der Veranstaltung. "Solange alles nur nach Geldvermehrungskriterien organisiert ist, wird der Krieg immer mehr zum normalen Mittel des Marktes", befürchtet Friedrich Schuch aus Nierstein. Er ist Mitglied der dortigen AntiFa-Gruppe und kritisiert, dass die Europäische Union mit ihrer geplanten neuen Verfassung genau die gleichen Kriege führen möchte wie die USA.

Über die militärische Ausrichtung der EU-Verfassung und den verstärkten Einsatz von Krisenreaktionskräften werde leider viel zu wenig geredet. Von der Bundesregierung erwarte er, dass deutsche Soldaten sofort aus Afghanistan und ähnlichen Einsatzgebieten abgezogen würden, um sich dieser kriegerischen Entwicklung nicht anzuschließen. Das Handeln der USA sei nichts anderes als Imperialismus, formuliert Hans-Gerd Öfinger, Vize-Bezirksvorsitzender der Gewerkschaft Verdi Wiesbaden und Mitbegründer der Antikriegsbewegung in der Landeshauptstadt. Nur um die eigenen Interessen verfolgen zu können, setzten sie die Bevölkerung in Irak unter Druck. Dabei folge die Bush-Regierung alleine den Interessen der Erdölindustrie.

Diese Art von Imperialismus sei ebenfalls in Deutschland zu beobachten. Die Agenda 2010 sei eine "Kriegserklärung gegen das eigene Volk". Die Bürger würden zu Unrecht glauben gemacht, dies sei die einzige Chance, die Gesundheits- und Rentensysteme zu stabilisieren. Gewerkschafter Öfinger fordert wie die anderen elf Initiativen und Parteien, die zum Ostermarsch 2004 aufgerufen haben: Die Agenda 2010 muss als räuberischer Angriff auf die Sozialsysteme zurückgenommen werden.

Nach dem Motto "steter Tropfen höhlt den Stein" fühle man sich verpflichtet, weiter für Frieden zu kämpfen. Die jüngste Entwicklung gebe ihren Argumenten recht. "Dass Krieg als Mittel gegen Terror nicht funktioniert, haben wir schon vor zwei Jahren gemeinsam mit tausenden Ostermarschierern in ganz Deutschland prophezeit", sagt Öfinger. Und all diese Befürchtungen seien heute in Irak grausame Realität.
 

(Frankfurter Rundschau 13.4.04)
http://www.fr-aktuell.de/ressorts/frankfurt_und_hessen/lokal_rundschau/maintaunus/wiesbaden/?cnt=419967

 


Solidarität mit Venezuela

Ostermarsch Wiesbaden warnte vor Einmischung der USA

junge Welt 13.04.2004

Beim diesjährigen Ostermarsch Mainz–Wiesbaden, der am Samstag in Wiesbaden stattfand, bildete die Solidarität mit dem revolutionären Venezuela einen inhaltlichen Schwerpunkt. Im Redebeitrag eines Vertreters der örtlichen Friedensbewegung wurde die Einmischung der USA, aber auch europäischer Einrichtungen wie der Konrad-Adenauer-Stifung in die venezolanische Innenpolitik kritisiert und an den vor genau zwei Jahren in Absprache mit Washington gestarteten und am massiven Widerstand im Volk gescheiterten Putschversuch erinnert. Ebenso wurde vor der weiterhin im Raum stehenden Gefahr einer direkten oder indirekten Einmischung der USA in drohende neue konterrevolutionäre Umsturzversuche gegen die Regierung Chávez gewarnt. Als Zeichen materieller Solidarität wurden Spenden für die Belegschaften besetzer Betriebe in Venezuela gesammelt.

Viele Ostermarschierer unterschrieben den internationalen Appell »Hände weg von Venezuela«, der im Februar von Alan Woods (marxist.com) gestartet worden war und ein weltweites Echo gefunden hatte.


Die ganze Welt mitdenken

Im Markttreiben auf dem Dernschen Gelände in Wiesbaden fielen Ostermarschierer kaum auf

 

(....)

„Sehr entschieden tritt Thomas Gamstätter auf: Im Westend drückt der Medizinstudent Passanten ein Flugblatt in die Hand. „Hände weg von Venezuela“, heißt es in dem Pamphlet, das die Bush-Regierung auffordert, nicht in dem südamerikanischen Staat zu intervenieren. Dessen Präsident Chávez zeige nämlich, dass eine Wirtschaftspolitik zugunsten der sozial Benachteiligten möglich sei. Für Thomas Gamstätter, Mitglied der Gewerkschaft ver.di, ist Chávez ein leuchtender Beispiel am sonst so düsteren Neo-Liberalismus-Himmel. „Es reicht heute nicht, einfach nur gegen den Krieg zu sein“; meint der Student im grünen Parka. Die komplexen Zusammenhänge der Weltwirtschaft, die sich nicht an den tatsächlichen Bedürfnissen der Bevölkerung orientiere, seien zuständig für Ungerechtigkeit und Unfrieden. Er erhofft sich eine Massenbewegung. Aber viel zu viele seien „einfach nur verzweifelt“.

(...)

aus: Frankfurter Allgemeine, 13.4.04

 

Zurück zur Startseite