Der Kanzler kam
Wir demonstrierten gegen den Krieg

Endspurt und Rollentausch im Hessischen Landtagswahlkampf. In der Wiesbadener Innenstadt, nur einen Steinwurf vom Hessischen Landtag entfernt, zieht die Landtagsopposition mit einer Unterschriftensammlung zu einem „emotionalen“ Thema massiv Aufmerksamkeit auf sich und stiehlt damit den Regierungsparteien die Schau. So war es vor vier Jahren, als der CDU-Landesvorsitzende Roland Koch mit einer Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft die Wahl gewann. Und so ist es zumindest an diesem Samstag gut eine Woche vor der Wahl, als sich in der Landeshauptstadt örtliche „Promis“ von SPD und Grünen Sandwich-Plakate mit Anti-Kriegs-Parolen umhängen und in der Fußgängerzone Spalier stehen. Am Stand der örtlichen CDU dagegen „tote Hose“.

Im Gegensatz zu Kochs Aktionismus Anfang 1999, als Menschen „gegen die Ausländer“ unterschreiben wollten, ist die Idee einer Kampagne der SPD gegen den Irak-Krieg aber nicht „von oben“ ausgebrütet und vorgesetzt worden, sondern von der Basis ausgegangen. So fand Anfang Januar der Beschluss des örtlichen Wiesbadener SPD-Vorstandes, gegen den Irak-Krieg öffentlich Unterschriften zu sammeln, rasch landesweit Nachahmung. Dies setzte dann den Landesvorsitzenden Bökel unter Zugzwang. Dass angesichts schlechter Umfragewerte die Wahlkämpfer vor Ort hierin eine letzte Chance sahen, um ähnlich wie im vergangenen Sommer doch noch die Stimmung herumzureißen, gab der Kampagne weiter Auftrieb. Die vielen Zigtausend Unterschriften sollen demnächst dem US-amerikanischen Konsulat übergeben werden.

„Wir haben damit Fakten geschaffen, hinter die der Schröder nicht mehr zurück kann“, freut sich ein SPD-Landtagskandidat aus der Umgebung der Landeshauptstadt über die Auswirkungen der Unterschriftenkampagne. „Na endlich“, sagen viele SPD-Mitglieder und Anhänger und nehmen von sich aus den Weg in die örtlichen Parteibüros auf sich, um gegen den Krieg zu unterschreiben. Doch andere wollen dem „Frieden“ noch nicht so ganz trauen: „Wenn der Schröder jetzt wieder umfällt, fliegt die Partei auseinander“, befürchtet eine Insiderin.

kurhaus3.jpg (21566 Byte)Ganz beseelt von der Wiederannäherung der SPD-Basis an die Friedensbewegung gab der südhessische SPD-Bezirksvorsitzende Grumbach die Parole aus, die Wiesbadener Abschlußkundgebung des Landtagswahlkampfes mit dem Bundeskanzler am Donnerstag müsse zu einer „machtvollen Demonstration“ gegen Koch und Irak-Krieg werden. Wir nahmen ihn beim Wort und führten vor dem Veranstaltungsort eine Anti-Kriegs-Mahnwache und Kundgebung durch. Wir verteilten Flugblätter und warben für die Berliner Demonstration am 15. Februar und weitere örtliche Aktionen.Wir sammelten Unterschriften gegen den Krieg, gegen jegliche direkte oder indirekte deutsche Kriegsbeteiligung und für einen sofortigen Abzug der Bundeswehreinheiten aus der Krisenregion. Adressat unserer Forderungen war aber nicht Bush, sondern die Bundesregierung. Als allerdings nach einer Stunde viele von uns sich die Rede des Bundeskanzlers drinnen im Saale anhören wollten, sah SPD-Landesgeschäftsführer Jürgen Walther in seiner Eigenschaft als Hausherr „rot“. Er verwehrte uns nach Rücksprache mit BKA-Beamten den Zutritt und gab den Sicherheitskräften eines privaten Security-Dienstes entsprechende Anweisungen.

Im Saale zog sich das Thema Krieg und Frieden wie ein roter Faden durch alle Reden. Der Beifall bei den entsprechenden Äußerungen machte die Stimmung deutlich. Doch offensichtlich wußte an diesem Abend die Linke nicht was die Rechte tat. Während Bundesministerin Wieczorek-Zeul sich gleich zu Beginn ihrer Rede lobend darüber äußerte, dass da draußen „junge Leute gegen Krieg demonstrierten“, drohte der Landesgeschäftsführer dem Veranstalter eben dieser Demonstration persönlich mit Hausverbot und einer Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs. Als wenig später der Spitzenkandidat Gerhard Bökel Ministerpräsident Koch wegen Intoleranz und Judenstern-Äußerungen scharf kritisierte, durchsuchten gleichzeitig die Sicherheitskräfte alle Einlaß begehrenden Menschen bis aufs Unterhemd, um sicherzustellen, dass sie keine unerwünschten Parolen auf T-Shirts in den Saal einschleppten. Selbst eine alleinerziehende Mutter, ein langjähriges SPD-Mitglied, und ihre zwei minderjährigen Kinder wurden wegen ihrer Mitwirkung an der Anti-Kriegs-Aktion als so gefährlich eingestuft, dass man sie zunächst nicht reinlassen wollte. Und während sich der Bundeskanzler eindringlich dazu bekannte, den Irak-Konflikt „mit friedlichen Mitteln zu lösen“, wurde nicht nur den vermeintlichen „Rädelsführern“, sondern auch einer Gruppe von ebenso politisch interessierten wie friedlichen Schülern zwischen 15 und 17 Jahren mit körperlicher Gewalt der Zutritt zum Saale verwehrt und mit Anzeige gedroht. Ihr einziges Vergehen: man hatte sie bei der Anti-Kriegs-Aktion draußen in der Kälte gesichtet. „Wir waren gegen den Irak-Krieg und gegen Roland Koch und hatten in keinster Weise vor, die Veranstaltung zu stören“, so die 16jährige Anne.

Ob indes Bökels Appell, am 2.2. in einer Art „Denkzettelwahl“ die „Friedenspolitik der Bundesregierung aktiv zu unterstützen“, noch den erhofften Umschwung bringt, bleibt abzuwarten. So traf Schröder mit seiner Bemerkung dass es seine Bundesregierung „mit ihren Fehlern“ seit Beginn der neuen Legislaturperiode „Gerhard Bökel und anderen nicht leichter gemacht habe“, die Stimmung im Saale. Hier bekam er starken spontanen Beifall.

Hans-Gerd Öfinger